Simultanjubiläum zum 75. Gründungstag

Die Klausenburger Kulturzeitschrift „Steaua“ und die „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“

Virgil Mihaiu, geb. 1951, Absolvent der Babeș-Bolyai-Universität in Klausenburg, Fakultät für Literatur, Englisch-Deutsch, Spanisch-Portugiesisch. 1971-1983: Mitglied der Redaktion „Echinox“; 1983-1994 Mitglied von „Jazz Forum“ (Warschau), der Zeitschrift der „International Jazz Federation“; seit 1990 Redakteur der Zeitschrift „Steaua“; 1997: Gründer des Jazz-Ästhetikkurses an der Nationalen Musikakademie in Klausenburg; seit 1999: Mitglied der Weltjury „Down Beat Jazz Critics Poll“; 2001: erster Jazzologe aus Mittelosteuropa in die Redaktion des Jazzmagazins, „Down Beat“ (Chicago); 2006-2012: Mitbegründer und Direktor des Rumänischen Kulturinstituts in Lissabon; Ministerberater der rumänischen Botschaft in Portugal; seit 2015 Direktor des brasilianischen Kulturzentrums „Casa do Brasil“ unter Schirmherrschaft der UBB.

2024 begeht die Klausenburger Kulturzeitschrift „Steaua“, deren Herausgeber der Schriftstellerverband Rumäniens ist, 75 Jahre seit ihrer Gründung. Nach dem Wendejahr 1989 versetzte man mich in die glückliche Situation, ins Redakteurskollegium dieses zum Bezugsort von Intellektuellen gewordenen siebenbürgischen Kommunikationsmediums kooptiert zu werden. Denn „Steaua” hat sich nicht nur für das Kulturzentrum Klausenburg, sondern für ganz Siebenbürgen und Rumänien zu einem Referenzmedium entwickelt. 

Es ist ein glücklicher Zufall – oder vielleicht auch nicht?!? – dass simultan mit dem 75. Gründungsjubiläum der Klausenburger „Steaua” die deutschsprachige Tageszeitung Rumäniens, die „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien, dasselbe ehrwürdige Alter erreicht. Und feiert. Mein großzügiger Freund, der ADZ-Redakteur Werner Kremm, hat mich davon in Kenntnis gesetzt. Ich entdeckte seinerseits dabei einen gewissen schlecht verborgenen Stolz... Wir haben gemeinsam festgestellt, dass unsere beiden Publikationen mit Erreichen dieser 75-Jahr-Schwelle eigentlich eine publizistische Spitzenleistung vollbracht haben. Im Falle der ADZ ist die Leistung doppelt lobenswert: Wir haben es heute mit der einzigen deutschen Tageszeitung östlich von Wien zu tun. Und sie besteht seit einem Dreiviertel-Jahrhundert. 

Das simultane Doppeljubiläum unserer Publikationen touchiert mich schon rein  gefühlsmäßig. Ich bin nämlich ein Absolvent der Deutschen Elementarschule in Klausenburg, die ich zwischen 1958 und 1962 besucht habe. Ich war Teil der Klasse, mit der meine Lehrerin Katharina Kloos ihre fruchtbare didaktische Karriere begonnen hat. Unsere Lehrerin Katharina Kloos hat sich zwischenzeitlich zu einer Förderin der deutschen Sprache und Kultur in Klausenburg entwickelt, indem sie sukzessive viele Generationen von Schülern in der zweitausendjährigen Hauptstadt Siebensbürgens unterrichtete und bildete. 

Durch sie kam auch ich, schon als Schüler der Grundschule, dazu, die erste deutsche Zeitung meines Lebens, den „Neuen Weg”, zu lesen. Es war der Anfang eines „Papierfetischismus”, dem ich noch heute fröne. Unter den zahllosen Zeitungen und Zeitschriften – auf Zeitungen konnte ich bisher nie verzichten! – befand sich immer auch der „Neue Weg”, für mich „das offizielle Organ in deutscher Sprache” des damaligen Rumänien – aber auch DAS Übungsblatt gegen das Vergessen meiner Zeitsprache, neben dem Rumänischen. In Klausenburg war auch damals das Angebot (für mich) relativ interessanter Zeitungen ziemlich vielfältig (und ich meine damit sowohl Tages-, wie auch Wochen- und Monats- oder Semesterpublikationen, inklusive über Sport, Film, Unterhaltung, später zunehmend der Bereiche Kultur und Bildung). Aber wenn ich in den Ferien zu meinen Großeltern aufs Land fuhr – meine Großeltern väterlicherseits wohnten in Deutschkreuz/Criț – dann hatte ich nur zwei Leseoptionen, was Zeitungen betrifft: „România Liberă” und „Neuer Weg”. Und die holte ich mir immer schon direkt auf dem Postamt des Dorfes ab, das sich in der Dorfmitte befand. 

Soweit ich mich erinnere, war ich sporadisch sogar ein Abonnent des „Neuen Weg”, den ich schätzte – und zeitweilig in erster Linie – als gutes Hilfsmittel zu Wahrung und Verbesserung meiner Deutschkenntnisse ansah. Zudem wurde mir zunehmend bewusst, dass Zeitunglesen im Leben jedes Menschen eine wichtige Rolle spielen kann, sofern jemand interessiert ist, sich die Welt kritisch zu erschließen – einschließlich und auch mit Hilfe von Fremdsprachen. 
Nachdem wir uns 1989 die Freiheit des freien Ausdrucks unseres Denkens erkämpft haben, hat auch die in Bukarest gedruckte deutsche Zeitung ihren Namen geändert. Sie wurde zur ADZ, also „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien” (für Rumänen ein ziemlicher Zungenbrecher...). 

Aber die ADZ hat sich nach der Wende nicht nur äußerlich gewandelt. Ich finde, sie ist zu einer veritablen Tribüne, zu einem echten Sprachrohr der (leider) stark geschrumpften deutschen Community Rumäniens geworden. 

Für mich war es ein entscheidender Augenblick in der Beziehung zur Kulturinstitution ADZ, als ich vor etwa einem Jahrzehnt zu Gast war im Museum der Rumänischen Literatur in Bukarest. Als gestandenes Mitglied der Klausenbur-ger Studentenzeitschrift „Echinox” war ich zu einer Veranstaltung anlässlich des 50. Gründungsjahrs der „Aktionsgruppe Banat” zugegen, zu der auch Johann Lippet, Werner Kremm und William Totok angereist waren. Und alle hatte der Moderator Ion Bogdan Lefter animiert, Erinnerungen wachzurufen an die Aktionsjahre der „Aktionsgruppe”, die auch für mich, als knapp drei Jahre ältererer Generations- und Mentalitätskollege, voll nachvollziehbar waren. In den Pausen- und Abendgesprächen, an denen sich auch die damalige Vorsitzende des rumänischen PEN-Clubs, die Schriftstellerin Magda Cârneci beteiligte, lernte ich damals auch den „letzten Mohikaner” unter den Gründungsmitgliedern der „Aktionsgruppe Banat” kennen, Werner Kremm, mit dem mich seither eine ersprießliche Freundschaft verbindet. Immerhin war er für mich auch interessant, weil er in der Gruppe der Neun zum Exoten geworden war, weil er als Einziger in den 1980er Jahren Rumänien nicht den Rücken gekehrt hatte und weiterhin in Rumänien eine bemerkenswerte journalistische Tätigkeit in deutscher Sprache ausübt. Mit seiner unnachahmlichen Jovialität brachte er mich der ADZ wieder nahe, viel näher als zuvor. 

Allerdings lese ich die ADZ jetzt in elektronischer Form. Und das schon seit mehr als zehn Jahren. Tagtäglich widme ich eine Fraktion meiner Zeit der qualitätsvollen Weltpresse – inzwischen beherrsche ich viele Sprachen – und darunter auch, unweigerlich, die in Bukarest erscheinende deutsche Tageszeitung, ein exzellentes Journal.

Ich bewundere darin die Dynamik, die Persistenz und Konsistenz der Arbeit eines kleinen Redaktionskollektivs mit dem Ziel, seine Leserschaft möglichst objektiv zu informieren. Ich bewundere die Professionalität, mit welcher die ADZ die verschiedensten Aspekte der Existenz der deutschen Gemeinschaft Rumäniens behandelt – die bereits seit fast einem Jahrtausend auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens lebt. Die Aufmerksamkeit, welche die ADZ der rumänischen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit angedeihen lässt, die Art, wie die Aktualität der Weltpolitik journalistisch zur Geltung gebracht wird, aber auch die Art und Weise der Reflektierung der kulturellen Aktualität rumänien- und weltweit. 

Der Erfolg der ADZ als Zeitung ist der überzeugende Beweis, dass eine gewisse intellektuelle Elite der Rumäniendeutschen hier- und aktiv blieb, die fähig und vollauf befugt ist, kulturell-identitäre Traditionen weiter zu pflegen, trotz der Widrigkeiten sukzessiver „Übergangszeiten” – und trotz dem konsternierenden Exodus der Mehrheit der Deutschen Rumäniens, welcher den Havariemodus erreicht hat, nachdem das totalitäre Regime gestürzt war.

Heute ist die Tageszeitung ADZ mit ihrer Chefredakteurin Nina May und herausgegeben vom Demokratischen Forum der Deutschen Rumäniens das Zeugnis einer außergewöhnlichen Eigendynamik, die sich auf eine exzellente Zusammenarbeit der Zentralredaktion mit den Redaktionsvertretungen in Hermannstadt, Kronstadt, Reschitza, Sathmar und Temeswar stützt. 

Es ist mir ein Vergnügen, sämtlichen Realisierern dieser Zeitung von hohem Niveau anlässlich ihres 75-jährigen Bestehens zu gratulieren. Genauso freue ich mich natürlich, meinen Kollegen von der Klausenburger „Steaua” zum Erreichen desselben „Alters” meinen Glückwunsch auszusprechen. Immerhin habe ich „Steaua” die Hälfte meines Lebens gewidmet – ich debütierte dort 1970. Den „Neuen Weg” hatte ich allerdings schon viel früher kennengelernt.
Angesichts der Unvorhersehbarkeiten des Heute: was könnte ich uns – damit meine ich „meine” ADZ und „meine” „Steaua”! – Besseres wünschen, als – zum allgemeinen Wohl – gemeinsam zu überleben, erst mal bis zum Hundertsten, und sicher noch weiter...